„Business Saviorism“ beschreibt das Phänomen, „Hilfe" als heroische Wohltätigkeit zu verpacken. In diesem Artikel diskutiert Gastautorin Lavinia Muth den Workshop, den sie mit dem GOT BAG-Team in Mainz durchgeführt hat. Sie beleuchtet kritisch die Kommunikation des Start-ups rund um seine Partnerschaft mit einer indonesischen Stiftung und die gemeinsamen Clean-up-Aktivitäten.
Wer bin ich, um darüber zu sprechen?
Über zehn Jahre lang habe ich sogenannte „Empowerment-Assessments“ durchgeführt – bis mir klar wurde, dass wir nur koloniales Mitleid neu verpackten. Heute helfe ich Unternehmen und NGOs dabei, Saviorism in ihrem gut gemeinten Engagement zu enttarnen – von Patagonias „We're in business to save our home planet“-Marketing (Hallo, Heldenkomplex?) bis hin zu GOT BAGs Plastiksammel-Botschaften. Stellt euch mich als Exorzistin für weiße Business-Narrative vor.
Das Audit, das in der CSR fast niemand macht
„Business Saviorism“ – ein unternehmerischer Ableger des weißen Saviorismus – liegt vor, wenn Unternehmen oder NGOs ihre „Hilfe“ als heroische Wohltätigkeit inszenieren. Dabei werden Machtungleichgewichte unter dem Deckmantel des Guten verschleiert (siehe: White Savior).
Als GOT BAG – bekannt für Rucksäcke aus recyceltem Ocean Impact Plastic – mich 2024 bat, ihre Kommunikationsstrategie rund um das Plastik-Sammelprogramm in Indonesien zu analysieren, war für mich eines schnell offensichtlich: Die Warnzeichen sprechen für sich.
Headlines:
– „Wir müssen jetzt handeln.“
– „Das ist der einzige Weg, wie wir etwas tun können.“
Bildwelt:
– Strahlende weiße Gründer-Gesichter mit Müllsäcken (Spoiler: gesammelt haben die Einheimischen).
Metriken:
– „X Tonnen gesammelt” (Dafür kaum Infos über dortige Lebensgrundlagen oder die Frage, wem die Rechte an den Bildern der „glücklichen Sammler:innen“ gehören.)
Ein Fall von klassischem Saviorismus: gut gemeint, aber strukturell gedankenlos.
Der Workshop: Unbequem? Ja. Verändernd? Fragt sie selbst.
Im Mai 2025 war das GOT BAG-Team bereit für einen dreistündigen „Business Saviorism“-Workshop im Mainzer Büro. Ziel war es:
✔ Machtverhältnisse sichtbar zu machen (Wessen Perspektive steht im Zentrum der Erzählung? Wer entscheidet über die Budgets?)
✔ Sprachmuster zu analysieren und zu optimieren, z. B.
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von „Das ist der einzige Weg“ zu „Strategien, die wir gemeinsam verfolgen können“
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von „helfen“ zu „unterstützen/zusammenarbeiten“
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von „wir sammeln“ zu „lokale Akteur:innen sammeln“
Was seitdem passiert ist:
1. Anstelle von „Wir sammeln Plastikmüll in Indonesien“ wurden lokale Partnerschaften sichtbar gemacht
Die Formulierung „Wir sammeln Plastik in Indonesien“ stellt das Unternehmen als Hauptakteur dar – und lässt die lokalen Communities und Organisationen, die die eigentliche Arbeit leisten, unsichtbar werden.
Das Problem: Diese Sprache folgt dem Saviorism-Narrativ: Sie löscht bestehende lokale Systeme aus und suggeriert, Plastikverschmutzung werde durch externes Eingreifen „gelöst“. Expertise wird verdeckt (lokale Sammler:innen kennen den Kontext nun mal am besten).
Die neue Formulierung:
„Unsere Partnerstiftung betreibt ein Clean-up-Programm, in dem lokale Teilnehmer:innen Plastikmüll sammeln …“
Warum das wichtig ist:
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stellt indonesische Partner in den Mittelpunkt
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verwendet aktive Sprache für lokale Akteur:innen („sammeln“ statt passiv „wird gesammelt“)
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macht Machtverhältnisse transparent (GOT BAG unterstützt – aber steuert nicht)
2. Koloniale Echos hinterfragt
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Warum zeigen Bilder zum Thema „saubere Ozeane“ weiße Rucksackträger:innen mit Müllsäcken – statt der lokalen Helfer:innen, die sie gefüllt haben?
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Warum wurden die Zitate indonesischer Partner:innen in Berichten versteckt, während in Pressemitteilungen die Gründer-Stimmen im Vordergrund standen?
3. Kollektives Handeln entwickelt
Die Hausaufgaben für GOT BAG:
✔ Kommunikationsrichtlinien überarbeiten, um savioristische Sprache zu vermeiden
✔ Bildrechte prüfen (Keine Nutzung von „Happy Collector“-Fotos ohne jeweilige Zustimmung)
✔ Ein visuelles Leitbild entwickeln, das die Darstellung auf Augenhöhe sicherstellt
Warum GOT BAGs Haltung zählt
Die meisten Marken ergreifen die Flucht, wenn ich frage: „Wer hat entschieden, dass das ‚Hilfe‘ ist?“ Aber GOT BAG ist geblieben. Sechs Wochen nach dem Workshop:
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Nutzt jede Abteilung co-kreierte Sprache – keine Story über eine bestimmte Community oder über Sammler:innen wird ohne Rücksprache mit den Beteiligten freigegeben.
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Wurde ein „Saviorism Checkpoint“ ins Kampagnen-Playbook aufgenommen.
Es geht hier nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen – sondern darum, Macht zu hinterfragen, die als Großzügigkeit getarnt ist.
Mini-Audit für dein Unternehmen
Du arbeitest in einem Unternehmen mit Corporate Social Responsibility-Programm? Dann schnapp dir den letzten CSR-Bericht und markiere jedes „wir“-Verb („wir lehren“, „wir spenden“). Schreibe um zu „wir bezahlen“, „wir folgen lokaler Führung“. Frag dich dann: Tun wir das wirklich? Wenn nicht, habt ihr ein Problem – oder seid vielleicht das Problem, das ihr zu lösen vorgibt.
Erkenne die versteckte Hierarchie: Wer wird als Expert:in zitiert – und wer ist nur Requisite?
Stell dir die radikale GOT BAG-Frage: Würden unsere Partner:innen das als „Unterstützung“ bezeichnen – oder eher als Schuldmanagement im Spätstadium?
Fazit
„Business Saviorism“ ist nicht nur ein Reputationsrisiko – sondern ein ethisches und strukturelles Versagen. Wenn Nachhaltigkeitsbemühungen Ungleichheiten verstärken, während sie angeblich Lösungen bieten, werden sie zum Teil des Problems.
Wirklicher Impact erfordert Demut: Macht umverteilen – nicht nur Plastik recyceln. Betroffene Communities in den Mittelpunkt stellen – nicht die eigene Marke als Heldin inszenieren. GOT BAG hat gezeigt: Es geht nicht um Perfektion, sondern um den Mut zur ehrlichen Selbstkritik.
Die Belohnung? Der Wandel ist greifbar: Wo Paternalismus war, entsteht Verantwortung. Wo Pressemitteilungen über die Rettung von Menschen waren, kann echter Dialog über gemeinsame Ziele und Vertrauen sein.
Und jetzt bist du dran.
Über die Autorin:

Lavinia Muth ist (Un)Sustainability Consultant & ehemals überzeugte Weltverbesserin. Sie bringt über 15 Jahre Erfahrung aus verschiedenen Positionen im Bereich Nachhaltigkeit in den Branchen Mode und Landwirtschaft mit.